- R E Z E N S I O N E N / R E V I E W S -
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Rezension zu
Elizaveta Dorogova, Meister Eckharts mittelhochdeutsche Predigten in Übersetzung. Eine übersetzungskritische Analyse der neuhochdeutschen und französischen Versionen, FRSK. Publikationen des Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz in Germersheim, 74, Berlin u.a.: Peter Lang, 2022.
Soweit ich die Sekundärliteratur kenne, liegt mit der Monographie, die aus einer Dissertation am Institut, aus der auch die Reihe stammt und in der sie veröffentlicht wurde, hervorgegangen ist, die erste Übersetzungsstudie zu Meister Eckhart vor. Schon hierfür sei der Vf.in zu danken, da das Übersetzungsproblem nicht erst die Leserschaft Eckharts beschäftigt, sondern auch ihn selbst immer wieder herausgefordert hatte und womit er sich offensichtlich auch reflexiv beschäftigte. Die Monographie verbindet folglich zweierlei – sie betrachtet sich deutsche und französische Übersetzungen aus den letzten Dekaden seit Anfang des 20. Jh. an und setzt sich auch mit grundsätzlichen Fragen des Übersetzens auseinander. Für den Eckhartübersetzer wie mich stellen beide Teile eine Bereicherung dar, da man sich als Übersetzer immer auch mit älteren Übersetzungen Eckharts auseinandersetzt, auch mit deren bisweilen geäußerten, meist in Einleitungen eingebundenen Überlegungen zur Art ihrer Herangehensweise, doch bedeutet es, nochmals einen Schritt vom Arbeitstisch und den Texten darauf zurückzutreten, und darüber nachzudenken, was das Übersetzen denn überhaupt als geistige Tätigkeit bedeutet, welchen Herausforderungen sie stellt, welche Ab- und Irrwege sich auftun und aus den vielen Optionen, welche Richtung bei welchem Text und abhängig von welchem Lesepublikum einzuschlagen ist. Dass es einen eigenen Wissenschaftszweig der Übersetzungskritik gibt, war mir zwar nicht unbekannt, hat sich mir aber bislang auch nicht als unmittelbare Gesprächspartnerin aufgetan. Dieses Angebot als wichtig, ja geradezu notwendig zu erweisen, ist ein weiteres Verdienst der vorliegenden Arbeit. Sie eröffnet mit einigen grundlegenden methodologischen Überlegungen, aus denen m.E. die wichtigsten zum Übersetzungsethos und zur Verantwortung gegenüber den Texten angestellt werden (30-35). Doch auch die Zweisprachigkeit Eckharts selbst hat seine Bedeutung für diejenigen, die sowohl Werke aus dem Lateinischen oder aus dem Mittelhochdeutschen in eine moderne Sprache übertragen wollen.
In einem Kapitel über die Methode der Übersetzungskritik wird man in die Überlegungen des französischen Übersetzungswissenschaftlers Antoine Berman (1942-1991) eingeführt (43-55), wobei mir aufgefallen ist, dass schon Berman von einer „retropektiven Intertextualität“ spricht, was bedeutet, dass man auch die spätere Literatur kennen muss, weil man ein früheres Werk gar nicht anders wahrnimmt als durch die dazwischen entstandenen Werke, was die eigene „Forschung modifiziert“ (46). In dieser Hinsicht, so würde ich vielleicht einen Schritt weiter als die Vf.in gehen, bewegt sich Berman nicht nur innerhalb einer Rezeptionshermeneutik, wie etwa von Jürgen Werbick vorgestellt (48), sondern geht über diese kritisch hinaus. Auch Paul Ricoeur hat Berman gelesen und dessen ethische Übersetzungsphilosophie weitergeschrieben, dabei auch – was eine gewisse Kritik an Eckhartübersetzern wie Alain de Libera (95-103) vorwegnimmt – darauf hingewiesen, dass es kein absolutes Kriterium für eine „gute Übersetzung“ gibt, weil es keinen Dritt-Text gebe, mit dem man Ausgangstext und Zieltext vergleichen könne (49). Folglich gibt es nach Ricoeur nicht die Alternative zwischen Treue und Verrat am Text, sondern Übersetzung bleibe ein „gefährliches Werk“ (51) – wie wahr, wenn man weiß, auf welchem Glatteis jede Übersetzung sich bewegt.
Immernoch auf Berman aufbauend – dem überhaupt die gesamte Arbeit viel Gutes verdient – widmet sich die Vf.in dem „Übersetzer und Übersetzungen“, weil Persönlichkeiten und Übersetzungen so eng zusammengehören wie das zu übersetzende Werk und in diesem Fall sein Verfasser (55-107). In diesem Kapitel liest die Vf.in konsequenterweise Übersetzungen auf dem Hintergrund der Biographie ihrer Schaffenden (G. Landauer; H. Büttner; F. Schulze-Maizier; J. Quint; D. Mieth; L. Gnädinger; U. Störmer-Caysa; E. Viesel; P. Petit; G. Jarczyk/P.-J. Labarrière; R. Schürmann; A. de Libera; J. Ancelet-Hustache/E. Mangin), und man hätte sich gewünscht, die Monographie hätte nicht beträchtliche 290 Seiten, sondern wir könnten viele Seiten mehr haben, weil bereits die kurzen biographischen Einblicke verdeutlichen, wie sehr die Biographien auf die Übersetzungen eingewirkt haben. Viele der Namen verdienten ein eigenes Kapitel, was ein Forschungsdesiderat darstellt, welches durch die Arbeit aufgetan wurde und selbstverständlich im Rahmen einer Doktorarbeit gar nicht abzuarbeiten ist. Dennoch stellt es zumindest teilweise das Herzstück dieser Arbeit dar.
In einem weiteren Kapitel werden in ein paar Fallbeispielen (v.a. DW Pr. 9 und DW Pr. 2) Analysen zu Übersetzungen vorgeführt, eine der wenigen Passagen, wo man hier und da auch inhaltliche Kritik anbringen könnte. Auch wenn die Arbeit an anderen Stellen sorgfältig herausarbeitet, dass gerade die unterschiedlichen textlichen Grundlagen (Pfeiffer; Quint u.a.) einen wichtigen Einfluss auf die darauf aufbauenden Übersetzungen besitzen, scheint diese Kenntnis etwa auf S. 121 bei der Kritik an Landauer nicht aufgenommen zu sein. Denn dass sich etwa bei Landauer „der Handlungsstrang verändert“, hängt i.W. mit der anderern Textgrundlage als Ausgangstext zusammen. Gerade auf diese Verbindung zwischen Ausgangseditionstext und Übersetzung geht Kapitel 5 ein (249-260).
Etwas aus dem Rahmen fällt das letzte inhaltliche Kapitel, wohl dem Modell von Berman geschuldet, jedoch nicht weniger spannend, ist die Frage der Intertextualität, die am Thema Eckhart und Hermetismus bearbeitet wird, in einem Abschnitt, in der die Vf.in auf die „retrospektive Intertextualität“ Bermans zurückkommt (261-271). Es schließen sich einige Schlussbetrachtungen an, aus denen ich nur auf die eine, m.E. wichtige verweise, bei der auch Editionen als Übersetzungsversuche angesehen werden. Wenn dies beherzigt werden würde, verließe man sich nicht zu schnell auf sogenannte kritische Editionen, sondern würde auch bei Übersetzungen häufiger auf die kritischen Apparate dieser Editionen und, noch besser, auf die Handschriften zurückgehen, wenigstens an Stellen, an denen ein Text auch für die Übersetzung als schwierig erscheint oder sich Sinnfragen ergeben. Wenn am Ende Gedanken im Buch stehen zur Verantwortung von Autor – der sich verständlich ausdrücken will und soll, und Übersetzer:in, die sich um die Sinnerschließung des Ausgangstextes bemühen sollen, versteht man, warum der allerletzte kleine Abschnitt die Frage nach der „religiösen Kategorie“ der Übersetzung aufwirft. Ideologie, Verortung und kritischer Abstand – die Vf.in greift auf Ricoeurs Beobachtung zurück, dass es für Übersetzungen kein drittes kritisches Gegenüber, keine Transzendenz, gibt, so dass wir allerdings glauben und nicht wissen können, ob eine Übersetzung dem Original entspricht. Ich würde hier vielleicht weniger die Glaubensfrage ins Spiel bringen, sondern eher bei einer umfassenden kritischen Position der Vorläufigkeit jeder Übersetzung.
Wie bereits diese Zeilen zeigen, ist das Buch in vielfältiger Hinsicht lesenswert, auch gut lesbar geschrieben, kleine Druck- und Grammatikfehler halten sich in Grenzen, und es eröffnete eine neue Richtung in der Eckhartforschung, in welcher künftig weitere Arbeiten wünschenswert wären.
Markus Vinzent
Rezension
BALÁZS J. NEMES
Neues zu den Fragen der Autorschaft und Kanonizität des Fließenden Lichts der Gottheit Mechthilds von Magdeburg
SARA S. POOR: Mechthild of Magdeburg and Her Book. Gender and the Making of Textual Authority. Philadelphia: University of Pennsylvania Press 2004 (The Middle Ages Series), xvi + 333 S. $ 55,00. ISBN 0812238028